Depersonalisation und Derealisation
Was ist Depersonalisation und Derealisation?
Zwei immer bekannter werdende Formen dissoziativer Störungen sind die Depersonalisation (die eigene Person betreffend) und die Derealisation (die Umwelt betreffend). Dissoziative Störungen sind Störungsbilder, bei denen meist die Integration von Wahrnehmung, Bewusstsein, Gedächtnis und Identität gestört ist. Darüber hinaus kann auch die Zusammenarbeit zwischen Psyche und Körper beeinträchtigt sein.
Beide Störungen treten meist im Verbund auf und sind oft kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern treten in Verbindung mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen auf. Aber auch Menschen, die nicht unter einer psychischen Störung leiden, können gelegentlich Erfahrungen mit Depersonalisation und Derealisation machen, zum Beispiel bei Erschöpfung, starker Müdigkeit, Stress und damit verbundener Belastung, oder beim Gebrauch von psychotropen Substanzen (Alkohol, Cannabis usw.). Diese Zustände haben dann noch keinen Krankheitswert, da sie meist nach Erholung wieder verschwinden. Erst wenn es immer wieder zu solchen Zuständen kommt, die episodisch oder dauerhaft bestehen bleiben, sprechen wir von einer Störung.
Wie entstehen diese zwei Störungsbilder?
Wie oben erwähnt, sind es meist andere psychische Störungen, die zur Depersonalisation und Derealisation führen. Dazu gehören: Depressionen, Angststörungen, Panikstörungen, Zwangsstörungen, Anpassungsstörungen, starker anhaltender Stress, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Störungen, die mit psychotischer Symptomatik einhergehen, sowie PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung). Außerdem Dinge, die mit starker Belastung, Erschöpfung oder Angst zu tun haben.
Depersonalisation
Wie der Name schon verrät, handelt es sich um eine Störung, die das Gefühl der eigenen Persönlichkeit betrifft. Die betroffene Person fühlt sich oft von sich selbst losgelöst, als wäre sie in Watte gepackt, oder als ob sie ein Beobachter ihrer selbst wäre und sich wie ein Roboter durchs Leben bewegt. Auch das Gefühl, als wäre die eigene Stimme plötzlich fremd oder Gliedmaßen nicht wirklich zugehörig, kann vorkommen. Eigene Erinnerungen können wie aus weiter Ferne wirken, oder als ob sie nicht wirklich erlebt wurden.
Kurz gesagt: Alles, was die eigene Person betrifft, wird als fremd oder in seiner Qualität verändert erlebt. Über die Existenz dieser Qualität wird einem oft erst bewusst, wenn es zu einer Änderung in dieser besagten Qualität kommt. Dieser Zustand kann sehr unangenehm und beängstigend sein, was diese Störungen oft verstärkt.
Derealisation
Bei Derealisation geht es um die Außenwelt. Die betroffene Person kann erleben, dass plötzlich vertraute Dinge in ihrer Erscheinung fremd oder verändert wirken. Vertraute Personen können plötzlich unvertraut oder fremd erscheinen, ebenso vertraute Orte. Es ist oft schwer zu beschreiben, was sich verändert hat – es handelt sich mehr um ein Gefühl, das sich nicht in Worte fassen lässt. Manchmal fühlt es sich an, als würde man die Welt durch eine Kamera betrachten. Farben und Formen der Außenwelt können verändert wirken, oft farblos oder leblos.
Auch auf emotionaler Ebene können Veränderungen auftreten: Dinge, die einen früher bewegt haben, lösen plötzlich keine Emotionen mehr aus. Das Schmerzempfinden kann herabgesetzt sein und es kann ein Gefühl entstehen, als ob eine Glasscheibe oder ein unsichtbarer Schleier zwischen der Person und der Außenwelt liegt. Diese Symptome kommen sowohl bei Depersonalisation als auch bei Derealisation vor.
Funktion dieser Störungen
In manchen Fällen steckt hinter diesen beiden Störungen tatsächlich eine Funktion, wenn sie psychisch bedingt sind und nicht organisch (also nicht durch Hirnstörungen oder andere organische Ursachen). Diese Funktion nennt sich „Schutz“. Man fragt sich vielleicht, wie etwas so Unangenehmes wie Dissoziationen als Schutz dienen kann. Lassen Sie mich das erklären: Viele Menschen, die an diesen Störungen leiden, haben belastende Erfahrungen gemacht, oft in der Kindheit – wie psychische, physische oder auch sexualisierte Gewalt. Um diese starke Belastung zu überstehen, schaltet der Geist einen Schutzmechanismus ein und spaltet diese Erlebnisse ab. Genau hier setzen die zwei Störungsbilder als Bewältigungsmechanismus an: Sie schaffen einen Zustand der Entfremdung, der es ermöglicht, das schlimme Erlebnis zu überstehen. Wenn jedoch immer wieder traumatische Erlebnisse auftreten oder diese nicht enden, gerät der Schutzmechanismus außer Kontrolle. In solchen Fällen kann dieser Zustand chronisch werden oder in Situationen wieder auftreten, in denen keine akute Gefahr mehr besteht. Die Schutzfunktion reagiert dann wie ein zu empfindlich eingestelltes Alarmsystem.
Oft berichten Betroffene, dass sie nach einer Panikattacke in diesen Zustand fallen und das Gefühl haben, nicht mehr daraus entkommen zu können. Es ist häufig die Angst, die den Zustand aufrechterhält, indem die Person sich ständig überwacht. Ein weiteres typisches Gefühl in diesem Zustand ist die Angst, den Verstand zu verlieren, was jedoch in der Regel nicht der Fall ist, da die Realitätseinschätzung (Realitätsprüfung) erhalten bleibt. Es wird hier besonders deutlich, wie stark angstauslösende Situationen diese Zustände auslösen und am Leben erhalten können.
Hilfreiche Maßnahmen
Wir haben nun eine mögliche Entstehungshypothese besprochen, aber was hilft bei diesen Störungen? Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass Depersonalisation und Derealisation in den meisten Fällen nicht eigenständig auftreten. Die zugrunde liegende Störung, wie etwa eine Depression oder Panikstörung, muss in diesen Fällen behandelt werden. Wenn wir über die Symptome sprechen, gibt es jedoch einige Strategien, die hilfreich sein können, um diese zu minimieren. Da Personen mit dieser Störung dazu neigen, sich immer wieder selbst zu prüfen (z. B. durch das Überwachen von Symptomen), kann dies den Kreislauf der Angst und der Symptome aufrechterhalten. Daher sollte die betroffene Person versuchen, diesen Zustand mit Akzeptanz zu begegnen, um wieder Ruhe zu finden. Es kann auch hilfreich sein, die Wahrnehmung wieder nach außen zu richten, indem man bewusste Aktivitäten ausführt, die ablenken und den Selbst-Check in den Hintergrund treten lassen. Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, den Kreislauf zu durchbrechen.
Es gibt des Weiteren verschiedene „Skills“ zur Behandlung von dissoziativer Symptome, die bei akuten Zuständen helfen können. Dazu gehören Erdungsmethoden, bei denen die Person ihre Aufmerksamkeit auf ihren Körper lenkt, um sich wieder mehr im Moment zu verankern. Das kann durch verschiedene Techniken geschehen, wie z. B. das Drücken von Stressbällen, das Anfassen empfindlicher Stellen, oder auch durch den Genuss saurer oder scharfer Bonbons.
Es ist wichtig zu betonen, dass all diese Maßnahmen in Absprache mit fachkundigen Personen durchgeführt werden sollten. Abhängig von der Ursache der Störung können verschiedene therapeutische Interventionen zum Einsatz kommen, darunter Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), Gesprächstherapie und viele mehr.
Ich hoffe, dieser Blogbeitrag konnte den betroffenen Personen helfen, mehr über dieses doch sehr komplexe Krankheitsbild zu erfahren und auch diejenigen sensibilisieren, die nicht betroffen sind.
Autor: Franco Canzio HPP
Haftungsausschluss: Die in diesem Blog geteilten Informationen dienen lediglich allgemeinen Informationszwecken und ersetzen keine professionelle medizinische oder psychotherapeutische Beratung. Für spezifische gesundheitliche oder psychische Anliegen sollte ein qualifizierter Facharzt oder Therapeut konsultiert werden. Der Autor übernimmt keine Haftung für die Anwendung der hier beschriebenen Inhalte.